12.05.2017,
Ric:
Wie schnell sieben Tage vergehen können, realisieren die Beine eher als der Kopf. Die Form des Hinterns hat sich schon an den Sattel assimiliert. Gemeinsam reiten wir Richtung Berge; acht Zacken zeigt unser Roadbook verteilt auf 122 km und 2.300 Höhenmeter an. Kurz vor der ersten Pause in Pomarance stoßen die Gruppen 2 und 3 unerwartet auf die Gruppe 1, die einen technischen Voll-Defekt mit doppeltem Mantelwrack vorweist. Gemeinsam gibt es eine kleine Stärkung, bevor der gefürchtete Anstieg nach Micciano genommen hast, der als gelb-roter und damit giftiger Anstieg im Roadbook markiert ist.
Während die Gruppe 1 selbstverliebt Selfies macht, baut die Gruppe 2 ihren Vorsprung aus. Die Gruppe 3 umfährt diesen Schikane-Pass clever. Eine kurze Abfahrt und ein flaches Stück später kündigt sich der nächste giftige Anstieg an. Majestätisch trohnt das Mittagsziel, das romantische Städtchen Volterra, auf einem Hügel und nur noch 10 km und 450 Höhenmeter trennen uns. Da Gruppe 1 offensichtlich zu viel nach links und rechts geschaut hat, rollen wir gleichzeitig in Volterra ein und besetzen verschwitzt ein ganzes Café. Die letzten 30 km bis zum Schmutz-Bier (Begriff im Fachjargon; bezeichnet einen alkoholischen Durstlöscher, der unverzüglich nach Ankunft, noch in verschwitzten Radklamotten, einzunehmen ist) auf der Piazza laufen wie geschmiert im Zeitraffer. Stolz ob der eigenen Leistung (insgesamt 626 km und 10.700 Hm!) und glücklich, dass alle wohlbehalten angekommen sind, begießen wir die tollen gemeinsamen sieben Tage. Nach dem Abendessen soll dann endlich die ersehnte Weinprobe stattfinden - in der lokalen Bar wollen wir die Weinkarte systematisch abarbeiten - denn heute Abend werden keine Roadbooks mit roten Zacken verteilt, morgen stehen die Füße still und der Kalorienverbrauch muss reduziert werden, denn morgen ist Abreisetag. Aber bevor sich die Stimmung trübt, soll noch einmal angestoßen werden und noch mal und noch mal - das haben wir uns nach sieben entbehrungsreichen Tagen mit sportlichen Höchstleistungen verdient.
Dennoch wollen wir uns einen Augenblick der Sentimentalität gönnen und eine Lobhymne auf den Quäldich(QD)-Radler anstimmen: der QD-Radler kennt die Toskana wie keine Zweiter; er kennt jede Mohnblume und jeden Ginsterstrauch am Straßenrand persönlich. Er weiß, dass die Toskana "wellig" und teilweise giftig ist; hat jeden Höhenmeter eigenbeinig vermessen. Er kennt die Kultur-Highlights der Toskana; hat sich ihnen ehrfürchtig und in angemessenem Tempo genähert, sie behutsam auf Socken durchquert und monetär subventioniert. Er kennt die magische Wirkung, die Pasta und Espresso in Kombination entfalten können. Er kennt die Bar im Ort, die das kühlste Bier und die meisten Chips dazu serviert; er weiß den salzigen Geschmack des ersten kräftigen Zuges sehr zu schätzen. Er ist recht begnügsam und freut sich über jede Form von Pasta mit großem Enthusiasmus. Er liebt es sich zu quälen, am liebsten in Gemeinschaft. Und ja, er kann auch feiern und ausgelassen sein. Das wird Colle di Val d'Elsa heute Abend zu spüren bekommen.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Die längere Runde ist fast identrisch. Wir nehmen lediglich nach Pomerance noch den Anstieg zum kleinen Ort Micciano mit. Der Anstieg ist nicht leicht, dafür mit unzähligen Serpentinen bestückt. In Micciano, das nur aus wenigen Häusern besteht, können wir dann noch zu Fuß einen Aussichtsturm erklimmen, der uns atemberaubende Ausblicke bietet.
Der weitere Verlauf erfolgt dann ebenso wie auf der kürzeren Runde über Volterra.